Debatte

Aufgrund der Reaktionen zu unserem Auswertungstext der Demo Ende Juli 2023 in Zschocher eröffnen wir an dieser Stelle die Rubrik „Debatte“. Hier dokumentieren wir die bisherigen Beiträge. Als Vernetzung arbeiten wir derzeit an einer Antwort auf die beiden Repliken und freuen uns auf weiteren Austausch und Praxis.

 

1. Auswertungstext der „A Monday without you-Demo“ in Zschocher

antifavernetzungleipzig | 27.08.2023

Am 31.07. hat unter dem Motto „A Monday without you – wer Faschismus sät, wird Antifaschismus ernten“ in Groß- und Kleinzschocher eine antifaschistische Demonstration stattgefunden. Hintergrund für die Demo war die seit über 3 Jahren an Montagabenden über den Innenstadtring laufende faschistische Mischszene,  aus deren Mitte es auch immer wieder zu Übergriffen auf Antifaschist*innen kam.
Mit der Versammlung widmeten wir uns den Ursprüngen und einigen wichtigen Akteur*innen dieser rechten Montagsdemonstrationen. Ziel war es, diese Strukturen in Leipzig-Zschocher aus der Deckung zu holen, Anwohner*innen über ihre Nachbar*innen aufzuklären und Solidarität zu zeigen mit denjenigen, die sich schon lange gegen rechte Raumnahme im Leipziger Südwesten wehren. Das wir hier richtig lagen wurde uns am Startpunk der Demo durch rechte Graffitis, welche in der Nacht zuvor geprüht wurden, deutlich gemacht. In Leipzig, wie in fast allen Städten mit einer größeren linken Szene, gibt es nach wie vor Stadtteile und Regionen, in denen kaum bis nie antifaschistische und linke Versammlungen stattfinden.
Dieser Auswertungstext soll unseren Reflexionsprozess zur Vorbereitung und Durchführung der Demo transparent machen.
Auch wenn es im Vorfeld Kontakt zu Antifaschist*innen in Zschocher gegeben hat, hätten Strukturen aus dem Leipziger Südwesten besser in die Mobi eingebunden werden können und müssen. Gut war, dass eine gemeinsame Anreise angeregt wurde, auch wenn viele Teilnehmer*innen schlussendlich individuell zur Demonstration gekommen sind. 
Froh waren wir über die Resonanz, die die Demo in Zschocher erzielt hat. Die Versammlung hat einige Neonazis aufgescheucht, die das Geschehen aus Seitenstraßen heraus beobachtet haben. Viele Anwohner*innen haben uns Sympathie entgegengebracht  und aus ihren Fenstern oder von ihren Balkonen aus zugehört. Die Redebeiträge waren gut, auch wenn es sicher noch mehr hätte geben können. Informationen über die Gründe der Versammlung hätten bspw. mittels Lautsprecherdurchsagen oder Informationsflyern besser erläutert werden können. 
Die Versammlung wurde ihren gesamten Verlauf über von einer großen Anzahl von Pressevertreter*innen und Fotograf*innen auch aus dem linken Spektrum begleitet. Das haben wir so nicht erwartet und würden uns über eine Absprache im Vorfeld oder zum Demoauftakt am Lauti freuen, (um eine bessere Zusammenarbeit zu garantieren/um uns besser abzustimmen).
Trotz der recht großen Resonanz im Viertel betrachten wir einige Aspekte der Demo kritisch. So haben wir doch weniger Druck auf die adressierten Akteur*innen der rechten Szene ausgeübt, als wir es uns vorgenommen hatten. Außerdem haben wir es nicht geschafft unsere gewünschte Außenwirkung zu erziehlen.
Es gibt Anlässe, da ist ein Auftreten als Blackblock zum Schutz vor Identifizierung und Repression sinnvoll. Bereits im Vorfeld haben wir im Aufruf festgehalten, dass wir das allerdings nicht bei jedem Anlass als gegeben erachten, so wie etwa bei dieser Demonstration in Zschocher. Wenn die völlige Vermummung, ohne wirklichen Grund, zum Selbstzweck verkommt, sehen wir diese als sinnlosen Anlass zur Repression, besonders wenn man als Demo nicht den notwendigen (Selbst-)Schutz vor dieser stellen kann. Ein einheitliches Auftreten kann auch die Beteiligung von Menschen aus dem Stadtteil ermöglichen, wenn diese so in der Demo besser untergehen können, aber diese Bedürfnisse wurden uns vorher gegenüber nicht artikuliert, weshalb wir vorher klar kommuniziert hatten auf ein Auftreten in „schwarz“ doch bitte zu verzichten.
Zum anderen beeinflusst das Auftreten als Blackblock die Außenwirkung in einer Weise, die dem Anliegen der Versammlung nicht immer  zuträglich ist. Das hat auch mit einigen der gerufenen Parolen zu tun, die  wir kritisch bewerten und die es verunmöglichen, die Ernsthaftigkeit des Anliegens nach außen zu vermitteln. Es ist uns leider nicht gelungen, hier in einen Austausch mit den Demoteilnehmenden zu kommen. Parolen wie „Gebt dem Nazi was er braucht …“ finden wir peinlich. 
Auch wenn wir mit der Zahl von 150 Demonstrant*innen zufrieden sind, stellt sich die Frage, warum in Leipzig kaum noch größere antifaschistische Mobilisierungen möglich sind. Neben der Repression der vergangenen Jahre hat das sicher mit einem Überangebot an Versammlungen und mit der Enttäuschung  nach manchen Demos zu tun. Insbesondere aber damit, dass die Leipziger Szene untereinander nicht gut genug vernetzt ist. Uns fehlen ebenfalls Kontakte zu Teilen der Szene – gezielte Mobiveranstaltungen könnten hier in Zukunft Abhilfe schaffen. Insbesondere geht es aber darum, verloren gegangenes Vertrauen untereinander zurückzugewinnen und zu zeigen, dass Versammlungen konkrete Ziele verfolgen, nachhaltig und sinnvoll sind. Wir hoffen, mit dieser Auswertung und zukünftigen Demos dazu beitragen zu können.
Wir sehen uns bei der nächsten „A Monday Without You Demo“ in Grünau. Infos folgen, stay tuned!
Antifaschistische Vernetzung Leipzig

2. Einige Gedanken zu der Demo in Zschocher am 31.7. und deren Auswertung

anonym | 05.09.2023

Wir finden es gut, dass die Antifaschistische Vernetzung Leipzig die „A Monday without you“-Kampagne ins Leben gerufen hat und wir gemeinsam mit 150 Menschen durch Zschocher gelaufen sind. Den FaschistInnen dort zu begegnen, wo sie sich in Sicherheit wähnen, ist immer richtig und notwendig. Denn sie können sich in Sachsen und auch in Leipzig – so lange sie sich benehmen – an vielen Orten einer Akzeptanz oder zumindest einer gleichgültigen Stimmung sicher sein.

Wir fanden die Demo eigentlich ziemlich gelungen. Im vorderen Teil wurden fast durchweg Parolen gerufen, es gab viele Transparente und Fahnen. Allerdings haben wir einige Anmerkungen zu der Auswertung, die die Genoss:innen der AVL am 27. August auf knack.news (https://knack.news/6608) veröffentlicht haben. Wir sehen es ziemlich kritisch, dass Gruppen immer wieder aufs Neue das haltlose Argument vorbringen, dass ein „Blackblock“-Auftreten dem Anliegen einer Antifa-Demo schaden würde. Die Frage ist natürlich, was das gemeinsame Anliegen einer solchen Demonstration in Zschocher ist. Doch wenn man dem Aufruf folgt, geht es darum die rechten Akteure in ihren Kiezen zu besuchen, sie aus der Deckung zu holen und sie somit zu bedrohen. Außerdem soll sich mit den antifaschistisch organisierten Menschen vor Ort solidarisiert werden.

Dass ein „Blackblock“-Auftreten an diesem Tag dem Anliegen schadete, halten wir für falsch. Des Weiteren verharmlost die Forderung nach ziviler Kleidung (Wer entscheidet das eigentlich? Sollen wir das nächste Mal in Abendgarderobe kommen und so herumlaufen wie die Gesellschaft es unserem jeweiligen Geschlecht zugesteht, damit wir niemanden verschrecken?) die Tatsache, die ja im Aufruf als Gegebenheit anerkannt wird, nämlich dass wir uns durch einen eher feindlich gesinnten Kiez bewegten. Einem Stadtteil, in dem Nazis wenig Widerspruch erfahren und durchaus gewaltvoll die Straße terrorisieren. Die am Rande stehenden FaschistInnen waren ein Beweis dafür, dass eine handfeste Auseinandersetzung hätte notwendig werden können. Die rechten Videostreamer:innen oder anderen Anwohner:innen mit Kameras geben ebenfalls Anlass dazu, sich eher unkenntlich zu machen. Ganz abgesehen von der Diskussion über (linke) Pressevertreter:innen, die es derzeit auf knack.news. (https://knack.news/6569) gibt. Wenn wir nicht selber dafür sorgen können – oder wollen – uns unkenntlich zu machen, dann verlassen wir uns doch schlussendlich auf die Bullen. Ein Verlass darauf, dass diese dafür Sorge tragen, dass die mit Glasflaschen bewaffneten Rechten unserer Demo nicht zu nahekommen und angreifen gibt es sicherlich nicht. Sprich, wir uns doch spontan gegen die Faschos wehren müssen und dabei riskieren von den anwesenden Kameraträger:innen gefilmt zu werden.

Wer dem Anliegen FaschistInnen die Stirn zu bieten weniger Wert zumisst, nur weil ein paar Leute schwarze Klamotten tragen und Parolen rufen die einigen nicht passen – denn nichts anderes wird der kritischen Bewohner:innen Zschochers im Text unterstellt – ist diesem Anliegen und dem Begehren nach einer ganz anderen Welt wohl allgemein doch ferner, als zu vermuten wäre. Uns geht es nämlich nicht um die akkurate bürgerliche Gesellschaft, sondern um den Bruch mit dieser. Zwar sollte das Restpotenzial der bürgerlichen Freiheit verteidigt werden gegen FaschistInnen, aber der Schoß ist fruchtbar, noch aus dem sie unentwegt kriechen. Die Biederkeit und Ordnungsliebe ist eben auch ein Versuch, sich mit der eigenen Ohnmacht, ausgelöst durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, zu arrangieren.

Der viel zitierte Rechtsruck ist nicht als Ausdruck einer am Rand stehenden faschistischen Gruppierung zu verstehen, sondern als ein Phänomen, das sich durch alle Schichten und somit auch durch Teile der Linken zieht. Wenn sich die bürgerliche Moralvorstellung und Hegemonie, die diese zu beanspruchen versucht, nur noch als Teil der unvernünftigen gesellschaftlichen Dynamik erweist, gilt es diese zu kritisieren und nicht affirmativ ihren Ansprüchen nachzukommen; Ansprüchen, wie eine Demo auszusehen hat, damit ihr Gehör geschenkt wird. Dies würde bedeuten, sich in Inhalt und Form immer weiter anzugleichen an das, was durch die vermeintlich bürgerliche Moralvorstellung noch abgedeckt ist. Gerade die Ereignisse um den Tag-X haben ohnehin bewiesen, dass wir durch die bürgerlichen Medien nicht mehr als Teil der Bürger:innen gesehen werden; in ihren Augen kein Recht auf Mitsprache und Demonstration haben sollten. Wir sind schon lange die Schmuddelkinder und tun gut daran, uns weiterhin die Hände schmutzig zu machen.

Vermummung ist in den meisten Fällen kein Selbstzweck, sondern Selbstschutz. Es geht hierbei nicht um das Abfeiern eines kulturellen Bildes der langvergangenen Zeiten der Autonomen Antifa M. Es geht um einen Versuch einer eigenständigen autonomen Praxis. Das Hochhalten dieser Autonomie kommt ohne kritisches Denken nicht aus. Und wer nicht bereit ist die Gedankenaufgabe zu erfüllen und zu versuchen, nachzuvollziehen, warum Leute sich vermummen, der:die räumt dem Denken vielleicht nicht eine so bedeutende Relevanz ein oder aber traut es den Anwohner:innen in Zschocher nicht zu.

In der Auswertung wird unterstellt, dass Menschen sich nur noch aus Spaß an der Sache vermummen. Die bittere Realität ist aber, dass zu viele die Dimension der rechten Mobilmachung und der allgemeinen Absage an das vernünftige Denken nicht ernst genug nehmen. Lasst die Leute in schwarz oder bunt kommen und bitte hört auf, ohne Argumente eine kulturelle Hegemonie eurer Vorstellung eines Szenecodes durchzusetzen. Wir wollen unversöhnlich sein mit dieser Gesellschaft. Der Bruch muss her. Wer das nicht anerkennt, hat sich abgefunden mit der Vernichtung, die dem Bestehenden innewohnt. Wer schwarze Kleidung als Störung empfindet oder diese den Anwohner:innen eines Viertels unterschiebt, möchte sich vielleicht auch nur abarbeiten an etwas Greifbaren. Die eigene innere Ruhe finden in der (Selbst-)Bestätigung, dass die anderen genauso adrett auftreten, wie man selber und wie man dies vorab gefordert hat. Dann ist die Sache schon geregelt und man konnte sich durchsetzen – wenn auch nicht gegen die FaschistInnen – in Zeiten in denen dies eine große Herausforderung für emanzipatorische Projekte darstellt. Vielleicht ist die eigene Schwäche und Marginalität anzuerkennen, anstatt diese schmerzhaften Erfahrungen weiter zu verdrängen und sich Handlungsmöglichkeiten und Bewegung vorzutäuschen wo sich eigentlich nur im Kreis gedreht wird. Der Blick mag dann vielleicht etwas weniger verstellt sein und Diskussionen ermöglichen, die die Ernsthaftigkeit unsere Lage widerspiegeln. Dann müssen wir nicht weiter über Klamotten und Dresscodes sprechen.

Wir sehen uns beim Tag-X-Festival und in Grünau!

3. Are you serious? Antwort auf die Auswertung zur Demo in Zschocher am 31.07.

army of clowns | 06.09.2023

Am 31.07. hatte die Antifaschistische Vernetzung Leipzig /AVL zu einer Demonstration unter dem Motto „A Monday without you – wer Faschismus sät, wird Antifaschismus ernten“ in Groß- und Kleinzschocher mobilisiert und dazu einen kurzen Auswertungstext verfasst.

Hierauf eine kurze Antwort, weil wir mit der „Analyse“, die dort stattfindet, nicht einverstanden sind. Mit der Demonstration hingegen waren wir sehr einverstanden und finden es gut, dass die AVL sie veranstaltet hat.

Vorneweg erstmal eine Sache: Eine Analyse der Demonstration setzt voraus, dass man sich kritisch mit dieser auseinandersetzt und nicht einfach das wiederholt, was man sowieso schon denkt. Irgendwelche Allgemeinplätze auf ein konkretes Geschehen anzuwenden ist keine Analyse. Das ist vielmehr der Versuch, unter dem Titel der Analyse seine persönliche Meinung durchzusetzen, indem sie als Ausdruck des besonders reflektierenden Denkens erhöht wird. Die vorgelegte „Analyse“ tut aber genau das. Sie bezieht sich nur ganz oberflächlich auf das konkrete Geschehen und führt dann aus, was ganz losgelöst von diesem für richtig befunden wurde.

Nun erstmal der Reihe nach: „Die Versammlung hat einige Neonazis aufgescheucht, die das Geschehen aus Seitenstraßen heraus beobachtet haben.“ Das können wir so teilen und hat uns gefreut, auch wenn zu der Beobachtung dazu gehört, dass sich diese gegenüber der Demonstration in keiner Weise zurückhaltend gezeigt haben. Sie waren zwar verärgert über die Demonstration und fanden wohl auch, dass diese in „ihr Viertel“ eindrang, aber sie hatten keine Hemmung, die Demonstration anzupöbeln oder zu bedrohen. Ein Mann kam einfach aus der Einfahrt seines Wohnhauses, um ein paar Drohungen zu äußern, ein anderer pöbelte „was, mehr seid ihr nicht, ihr Hansel“ aus dem Fenster seiner Wohnung. Wir können also festhalten, dass die Demonstration offengelegt hat, wie sicher sich das rechte Pack in Zschocher fühlt. Die Demonstration hat sie zwar aufgebracht, aber in gewisser Weise das Gefühl von Stärke und Dominanz im Viertel noch einmal verstärkt. Das lasten wir natürlich nicht der Demonstration oder dem Anliegen an, sondern vielmehr dem Umstand, dass die Mobilisierung für die Demonstration nicht wirklich mobilisieren konnte, aber zur Kenntnis nehmen muss man das ja mal, gerade in einer Analyse. Dann wird auch die Aussage „Parolen wie „Gebt dem Nazi was er braucht …“ finden wir peinlich.“ noch einmal interessanter und weist über das Gefühl der Peinlichkeit hinaus. Dieses ist ja für eine politische Analyse gar nicht interessant: Ob jemandem etwas peinlich ist oder nicht, ist ganz subjektiv. Anderen ist es offensichtlich nicht peinlich und so bleibt es dann ja stehen: Die einen so, die anderen so. Es scheint doch aber so zu sein, dass der Spruch irgendetwas erwirken soll, dafür wird er gerufen und was soll es anderes sein, als den Ausdruck von Gefährlichkeit, Krassheit und Bedrohung zu vermitteln, um den damit adressierten Feind einzuschüchtern? Es ist aber – ganz losgelöst von derlei Sprüchen – etwas, was die Demo nicht ausgelöst hat. Das verweist zusammen auf ein weiteres konkretes Problem: Antifaschismus fehlt in Leipzig (und anderswo) derzeit eher der Ausdruck der Stärke und ist in der Gesellschaft zunehmend isoliert.

Wenn das auch zusammenhängt, so sind es doch auch zwei unterschiedliche Anliegen, die sich daraus ergeben: Zum einen soll die gesellschaftliche Isolation durchbrochen, zum anderen Nazis und andere rechte Strukturen eingeschüchtert, also das verwirklicht werden, was nicht der Fall ist.
Hieraus erklärt sich nun auch jenes Problem, was hier – wie schon im Aufruf – von der AVL als wesentlich ausgemacht wird: Dass die Demonstration von ihrem Look her dem Versuch schadet, die gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen, weil sich nicht an den zuvor geäußerten Wunsch gehalten wurde, sich nicht schwarz anzuziehen: „Außerdem haben wir es nicht geschafft unsere gewünschte Außenwirkung zu erzielen“, obwohl „wir vorher klar kommuniziert hatten auf ein Auftreten in „schwarz“ doch bitte zu verzichten.“ Oder war das vielleicht schon mehr als nur ein Wunsch? Es wurde klar kommuniziert, auf ein Auftreten in schwarz zu verzichten – eine solche Aussage lässt doch einen gewissen autoritären Einschlag nicht leugnen. Natürlich geht die AVL nicht so weit, eine bestimmte Kleiderordnung anzuweisen, vermutlich aber nur, weil das ihr nicht zusteht. Das Insistieren auf die schlechte Wirkung schwarzer Kleidung, welche dann verhindert, die doch so sehr „gewünschte Außenwirkung zu erziehlen“ jedenfalls legt aber nahe, dass man eigentlich doch will, dass die Demonstrationsteilnehmenden sich an das halten was „klar kommuniziert“ wird. Frecherweise werden nun von der AVL hierfür auch noch die antifaschistischen Bewohner:innen von Zschocher vorgeschoben, denn schließlich hätten diese den Wunsch nach einer einheitlichen Demonstration nicht geäußert. Hätten diese das getan, wären sie natürlich auch für eine solche Demonstration eingetreten. Vielleicht findet die AVL dieses „Argument“ ja selbst überzeugend, vielleicht ist es auch so vorgeschoben, wie es wirkt, denn mal ehrlich: Wann und wo ist sowas jemals vorgekommen? Wie soll das aussehen? Sollen die antifaschistischen Bewohner:innen, die sich natürlich alle untereinander kennen, sich vor der Demo in einer Stadtteilversammlung treffen, sich absprechen, einen Konsens zu dieser Frage finden und ihn dann der AVL mitteilen, damit diese dann den Willen der Viertelbewohner:innen umsetzt? Woher überhaupt weiß denn die AVL, dass unter denen, die „völlig vermummt“ waren, niemand aus Zschocher war?

Dazu noch etwas. Erstens: Es waren im Grunde niemand „völlig vermummt“. Eine Person zog, soweit wir das mitbekamen, die Aufmerksamkeit der Bullen auf sich, weil sie neben einer aufgezogenen Kapuze noch eine FFP2-Maske oder ähnliches trug. Das ist zwar irgendwie eine Vermummung, aber doch in keinem Fall eine „völlige“ Vermummung. Alle andere trugen einfach nur schwarz. Nun hier zu versuchen, die Frage nach Vermummung vermeintlich aus strategischen Erwägungen zu klären, während die Bullen dafür am liebsten jeden lang machen würden, der auch nur im Ansatz vermummt ist, macht ein völlig falsches Diskussions- und Auseinandersetzungsfeld nach innen auf, welche in der Hauptsache doch sowieso die ganze Zeit mit den Repressionsorganen geführt werden muss.

Darüber hinaus ist es doch ein Irrglaube, dass das eigene Anliegen irgendwie besser rüberkommt, wenn wir uns angepasst kleiden. Dass wir nicht angepasst sind, das wissen alle. Niemand wird sich darüber täuschen lassen, wer wir sind, weil wir ein adrettes Hemd anziehen. Selbst wenn wir alle zusammen vorher durch H&M gestiefelt wären, um uns einzukleiden, hätten die Bewohner:innen von Zschocher nicht applaudierend die Straße gesäumt und der AVL Fanpost geschrieben. Die Außenwirkung wäre wesentlich die gleiche geblieben. Und überhaupt: Wesentlich sollen sich die Menschen doch von uns ab- oder zu uns hinwenden wegen unserer Inhalte und Positionen und nicht deswegen, weil wir im gesellschaftlichen Sinne gut oder schlecht gekleidet sind. Zudem hat ja selbst die AVL in ihrer „Analyse“ festgestellt: „Froh waren wir über die Resonanz, die die Demo in Zschocher erzielt hat. […] Viele Anwohner*innen haben uns Sympathie entgegengebracht und aus ihren Fenstern oder von ihren Balkonen aus zugehört.“ Ja, was denn nun? Wieviel mehr Zuspruch wurde denn erwartet dafür, dass man zum einen seit langer Zeit überhaupt mal wieder in Zschocher auftaucht und zum anderen als AVL das erste Mal überhaupt auf die Bühne getreten ist? Unser Eindruck war das jedenfalls auch, dass uns zugewandte Rückmeldungen da waren, und zwar explizit einer Demonstration gegenüber, die in schwarz aufgelaufen ist.

Noch etwa zu diesem Thema: Die AVL schreibt „Es gibt Anlässe, da ist ein Auftreten als Blackblock zum Schutz vor Identifizierung und Repression sinnvoll.“ und „Die Versammlung wurde ihren gesamten Verlauf über von einer großen Anzahl von Pressevertreter*innen und Fotograf*innen auch aus dem linken Spektrum begleitet.“ Woher hat die AVL das Wissen, wann für wen aus welchem Grund der Schutz vor Repression und Identifizierung sinnvoll ist? Offensichtlich bemerkt wurde ja wohl, dass viel fotografiert und gefilmt wurde. Filmaufnahmen wurden von der L-IZ unverpixelt ins Netz gestellt. Zu anderen Zeiten kommen regelmäßig rechte Streamer um die Ecke, um zu filmen. Aber davor schützen soll sich niemand, weil es vermeintlich das Außenbild der Demo beeinträchtigt? Hier noch davon zu sprechen, dass man damit einen „sinnlosen Anlass zur Repression“ bietet, ist schon dreist.

Statt auf der Seite derer zu stehen, die sich – und bei dieser Demo ja wirklich nur ein kleines bisschen – aus welchem Grund auch immer vermummen, will die AVL lieber mit den Vertreter:innen der Presse kungeln, die ohne jede Hemmung Bilder von Antifaschist:innen ins Netz stellen. Man habe diese nicht so zahlreich erwartet, man würde sich aber „über eine Absprache im Vorfeld oder zum Demoauftakt am Lauti freuen, (um eine bessere Zusammenarbeit zu garantieren/um uns besser abzustimmen).“ Und als Letztes nochmal ein Punkt: Es gibt natürlich viele Möglichkeiten sich zu kleiden und in der Regel kleiden sich die Menschen ja so, wie es ihnen gefällt, ihnen nützlich ist usw. Für viele ist das Tragen schwarzer Kleidung aber nicht ein Outfit, das sie sich anziehen, wenn sie demonstrieren gehen, wohingegen sie sonst immer in allerlei Farben herumspringen. Gerade bei „uns“ gibt es doch viele, die fast immer in schwarz gekleidet sind. Zu erwarten, dass sich nun extra ein buntes oder graues oder was sonst für ein Outfit zuzulegen ist, nur weil sich das die AVL aus der falschen Annahme, so ließe sich mehr Bürger:innennähe herstellen, wünscht, ist geradezu absurd. Soviel erstmal zum „Black-Block“-Thema.
Zuletzt schreibt die AVL: „Auch wenn wir mit der Zahl von 150 Demonstrant*innen zufrieden sind, stellt sich die Frage, warum in Leipzig kaum noch größere antifaschistische Mobilisierungen möglich sind. Neben der Repression der vergangenen Jahre hat das sicher mit einem Überangebot an Versammlungen und mit der Enttäuschung  nach manchen Demos zu tun. Insbesondere aber damit, dass die Leipziger Szene untereinander nicht gut genug vernetzt ist. Uns fehlen ebenfalls Kontakte zu Teilen der Szene – gezielte Mobiveranstaltungen könnten hier in Zukunft Abhilfe schaffen. Insbesondere geht es aber darum, verloren gegangenes Vertrauen untereinander zurückzugewinnen und zu zeigen, dass Versammlungen konkrete Ziele verfolgen, nachhaltig und sinnvoll sind.“

Zuerst einmal: Wir waren mit der Anzahl der Demoteilnehmer:innen nicht zufrieden, es hätten ruhig ein paar mehr sein können, gerne doppelt so viele. Tatsächlich stellt sich die Frage, wieso so wenig gekommen sind. Dass antifaschistische Mobilisierungen in Leipzig kaum noch möglich sind, würden wir jedoch bestreiten. Das Problem ist ganz sicher nicht das Überangebot (was ist das denn bitte für eine oberflächliche Betrachtung? Wo soll den dieses Überangebot sein?), sondern vielmehr die abnehmende Qualität der Mobilisierung, die oft schon an schlechten und nahezu inhaltsleeren Aufrufen zu erkennen sind, aber sich darin nicht erschöpfen; zugleich ist es so, dass insgesamt eine Demobilisierung eingesetzt hat, die vielerlei Ursachen hat, die wir hier nicht umfassend behandeln können. Sicher ist aber, dass Mobilisierung nicht etwas ist, was erst anfängt, wenn Aufruf und Plakate zu einer Demo mobilisieren, vielmehr ist es ein allgemeiner Zustand der Bewegung: Entweder wird sie dem Namen „Bewegung“ durch eine solche Praxis gerecht; das bedeutet aber auch, dass alle im Allgemeinen bereits „mobil“ sein müssen. Oder sie beginnt sich selbst stillzustellen und damit sich aufzulösen. Das ist ein Zustand, der auch dadurch eintritt, dass sich das Denken stillstellt, wie etwa bei den Rotgruppen oder allen anderen, die mit ihrem verhärteten Denken ganz genau wissen, wie alles zu bewerten ist, gut beobachtet werden kann.
Größere Mobilisierungen zu erreichen, ist viel Arbeit und auch mehr Arbeit, als eine Demonstration zu veranstalten und danach einfach ins Lamenti einzustimmen, dass zu wenig geht. Dass so wenige kamen, verweist jedenfalls darauf, dass einiges an Aufbau nötig ist, um wieder Größeres hinzubekommen, während – da stimmen wir zu – die Repression alles dazu beiträgt was sie kann, den Abbau und Zerfall von allem voranzutreiben und das ausgerechnet in einer Situation, wo praktischer Antifaschismus immer dringender wird. Dass es darum geht Vertrauen zurückzugewinnen, sehen wir allerdings auch so. Es braucht eine sich ihrer selbst bewusste Bewegung.

Wir haben hier mal kein Blatt vor den Mund genommen. Aber wir werden das Anliegen der AVL mindestens in Teilen weiter unterstützen, auch wenn das hier anders rüberkommen mag. Wir sehen Dinge unterschiedlich und stehen bei einigen Punkten im Widerspruch zueinander – eine antifaschistische Bewegung wird aber ihre Stärke nie aus Homogenität gewinnen, sondern daraus, dass die Unterschiedlichen zusammenstehen.

In diesem Sinne
Alerta Alerta!
Wir sehen uns auf den Straßen.

4. Let’s be serious – Eine Antwort auf die Kritiken am Auswertungstext zur Zschocher-Demo der AVL

antifavernetzung leipzig | 01.11.2023

Im Nachgang der “A Monday Without You”-Demonstration Ende Juli in Zschocher veröffentlichten wir einen kurzen Auswertungstext. Auf knack.news erschienen in der Folge zwei Antworttexte mit Kritik an unserer Auswertung: “Einige Gedanken zu der Demo in Zschocher am 31.07 und deren Auswertung” (https://knack.news/6654; folgend als „Text 1“ bezeichnet) und “Are you serious? Antwort auf die Auswertung zur Demo in Zschocher am 31.07” (https://knack.news/6661; folgend bezeichnet als „Text 2“).

Einige Anmerkungen vorweg

Unser Auswertungstext war keine Analyse und diesen Begriff haben wir auch nie verwendet – es ging eher um das Sammeln von Eindrücken und Perspektiven. Das vermeintliche Durchsetzen einer persönlichen Meinung „unter dem Titel Analyse“ (Text 2) war nie unser Ziel – eine Fokussierung auf diesen Begriff hätte Text 2 nicht nötig gehabt. Uns ist aber klar, dass wir unsere Gedanken rund um die Aspekte von Auftreten, Außenwirkung und Black Block nicht gut vermittelt bzw. nicht ausreichend formuliert haben, worum es uns ging. Ja, sicherlich war auch manches davon vorgeschoben, verklausuliert und halbgar. Dass wir dafür kritisiert werden, ist verständlich
Als Antifaschistische Vernetzung bestehen wir aus Einzelpersonen, Zusammenhängen und Gruppen und kommen teils aus unterschiedlichen Strömungen. Kurz, wir haben intern unterschiedliche Positionen und lernen, damit nach außen zu treten. Außerdem zu berücksichtigen ist, dass wir als öffentlich agierende Gruppe mit einem Namen für unsere Inhalte stehen; wir sind uns sicher, dass nicht nur unsere Genoss:innen, sondern leider auch die Repressionsbehörden unsere Worte gerne auf die Goldwaage legen. Letzteres macht es unmöglich, die eigenen Beweggründe und Konzepte in Gänze zu kommunizieren. Das alles führt mitunter zu Schwierigkeiten bei der gemeinsamen Textarbeit. Auf die Schnelle eine Auswertung veröffentlichen zu wollen, war überambitioniert und ging auf Kosten von inhaltlicher Klarheit und Auseinandersetzung.
Wir schreiben Texte, auch die kritisierte Auswertung, um unsere internen Debatten möglichst transparent zu machen und Diskussionen anzuregen. Das ist uns sogesehen gelungen, auch wenn wir mit unserem kritisierten Text selber nicht zufrieden sind. Weil wir uns insgesamt mehr produktiven Austausch und Debatten innerhalb der Szene wünschen, freuen wir uns über die Reaktionen auf unseren Auswertungstext und möchten auf einige der aufgebrachten Punkte genauer eingehen.

Die Debatte zur Zschocher-Demo

Die beiden Antworttexte konzentrieren sich in ihrer Kritik auf unser Bedauern im Auswertungstext, die Teilnehmenden der Zschocher-Demo seien unserem Vorschlag aus dem Aufruf zur Demo, auf ein Auftreten als Schwarzer Block zu verzichten, nicht gefolgt. Warum unsere Kritik in der Auswertung nicht gelungen war, erklären wir weiter unten. Für unsere ursprüngliche Formulierung im Aufruftext, das Auftreten im Schwarzen Block sei je nach Ziel einer Demo „nicht immer sinnvoll“, gab es drei Gründe.
Erstens: Im Kontakt mit Menschen aus Zschocher wurde an uns herangetragen, dass diese sich keine klassische Black Block-Demo wünschen. Das mag zum einen aus einer Einschätzung ihrerseits resultieren, dass eine bunte Demo mehr Anklang im Viertel finden könnte. Zum anderen war der Wunsch wahrnehmbar, sich selber mitsamt Freund:innen und Bekannten in die Demo einreihen zu können ohne Angst vor Bedrohungsszenarien haben zu müssen, die ein Auftreten als Schwarzer Block zur Folge haben oder wenigstens plausibler wirken lassen könnte. Um unserem Namen und damit unserem Anspruch an Vernetzung nach Zschocher gerecht zu werden, haben wir dies berücksichtigt. Das heißt nicht, dass wir das Konzept des Schwarzen Blocks ablehnen und, wie in beiden Kritiktexten heraufbeschworen, auf dem Altar der Anschlussfähigkeit ans Bürgertum oder gar der „Biedrigkeit und Ordnungsliebe“ opfern wollen. 
Das bringt uns zum zweiten Punkt: Wir halten es in Anbetracht des aktuellen Kräfteverhältnisses in dieser Stadt in den meisten Fällen nicht für sinnvoll, aus einer angemeldeten, von Polizei begleiteten und dutzendfach abgefilmten Versammlung heraus militant zu agieren – ausgenommen natürlich Szenarien, in denen praktischer Selbstschutz notwendig wird. Unsere Demo sollte dem Zweck dienen, faschistische Strukturen und Akteure im Viertel sichtbar zu machen, die Nachbar:innenschaft über sie aufzuklären und darüber hinaus in die Szene hinein Informationen zu vermitteln. Was außerhalb unserer Demo mit diesen Infos passiert, wollen wir allen selbst überlassen. Und ja, wir wollen den Faschist:innen auch Angst machen und ein reales Bedrohungszenario kreieren. Dafür kann das Aufsuchen ihrer Rückzugsräume und Offenlegen ihrer Strukturen im Rahmen einer Demonstration aber nur der erste Schritt sein. Wir wünschen uns einen Austausch und ein Bewusstsein für unterschiedliche Aktionsformen und Schritte antifaschistischer Arbeit – so wollen wir unseren Hinweis im Aufruf verstanden wissen, ein Schwarzer Block sei nicht immer sinnvoll. Militanteres Auftreten und Agieren auf einer Demo wäre sicherlich eine Variation, die kontextabhängig effektiv und zielführend ist. Wir sind aber für unsere Demo zu einem anderen Schluss gelangt. 
Denn, drittens: Unser erstes öffentliches Auftreten war die Demo am Tag der Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Verfahren, die sich bekanntermaßen als Schwarzer Block aus etwa 800 Menschen formiert hat und von der Polizei mit Repression überzogen wurde – der Ausgang dürfte ebenfalls bekannt sein. Wir mussten davon ausgehen, dass die Behörden dementsprechend hellhörig reagieren, wenn die AVL zu einer Demo aufruft, um Rechte „aus der Deckung zu holen“. Ebenso konnte davon ausgegangen werden, dass unsere Demo entsprechende Erwartungen bei Teilnehmenden weckt. Weil unsere Demo anders konzipiert war, haben wir es als unsere Verantwortung gesehen, im Vorfeld einen Hinweis zu geben, dass Struktur und Orga unserer Demo für bestimmte Formen antifaschistischen Agierens nicht ausgelegt sein wird – um Dynamiken zu vermeiden, die wir nicht kollektiv hätten tragen können und daraus resultierende Repression abzuwenden. Es geht also um eine aus unserer Sicht realistische Einschätzung der Situation, in der man als Gruppe handelt und einen Anlass für Handeln bereitstellt. Dieser Punkt ist uns wichtig, wenn wir davon sprechen, dass wir Vertrauen wiederherstellen wollen. 
Dass wir diese Überlegungen auf einen Vorbehalt gegenüber einem bestimmten Dresscode und pauschale Infragestellung von (Voll-)Vermummung verkürzt haben, war ein Fehler. Wir können diesbezüglich den Argumenten, die in den Kritiken an unserem Auswertungstext hervorgebracht wurden, weitestgehend zustimmen. Wir wollen mit unserem Text niemanden auffordern, sich nicht unkenntlich zu machen. Wir teilen die Ansicht voll und ganz, dass es dafür diverse gute Gründe gibt. Auch wenn wir kritische Gedanken zu bestimmten Beobachtungen teilen, die wir auf Demos machen, geht es uns ausdrücklich nicht darum, Menschen vorzuschreiben, was sie (auf von uns organisierten Demonstrationen) zu tragen oder zu rufen haben. Diesen Punkt haben wir nicht klar genug formuliert und auch die Kritik an der von uns gewählten Formulierung nehmen wir ernst und werden diese weiter diskutieren. 

Verhalten auf Demos: Wer hat Angst vorm Schwarzen Block?

Wir glauben aber auch, dass eine Demo nicht pauschal sicherer wird, bzw. wir besser auf Angriffe durch Neonazis reagieren können, weil wir schwarze Kleidung tragen und abschreckende Parolen rufen. Wir finden es deutlich wichtiger, dass es einerseits eine gute Vorbereitung für solche Fälle gibt, also Absprachen zwischen ersten Reihen, Ordner:innen und Lauti getroffen wurden und wir es schaffen, strukturell mehr Wissen und Skills zu sammeln, wie wir uns kollektiv verteidigen können. Ganz praktisch wollen wir uns andererseits für mehr Eigeninitiative bei Bezugsgruppen aussprechen; ob mit Seitentranspis für Sichtschutz und Regenschirmen oder stärkeren Schildern für das Abwehren von Wurfgegenständen. Darüber hinaus gibt es auch gute Konzepte für kollektives Bewegen auf Demonstrationen, die es weiter zu verbreiten gilt. Allgemein wünschen wir uns eine kollektive und reflexiv-kritische Aneignung der Taktik Black Block, die sich seiner Historie bewusst ist und eine Anwendung immer auf Sinn und Unsinn im konkreten Kontext überprüft. 

Stattdessen machen wir immer wieder die Beobachtung, dass eine bestimmte Schablone vom Schwarzen Block zum individuellen Demo-Outfit geworden ist. Dass sich Menschen zwar schwarz kleiden und vermummen, aber gleichzeitig leicht identifizierbare Kleidungsstücke, auffällig platzierte Buttons, sichtbare Piercings, etc. tragen. Dass Handschuhe getragen werden, ohne dass der Rest der Kleidung zur Aktionsbereitschaft passt, die dadurch (nicht zuletzt den Cops) vermittelt wird. Dass Handschuhe sogar genutzt werden, um während eines Redebeitrags das Mikro zu halten und somit sämtliches DNA-Material der Vorredner:innen mitnehmen. Dass Menschen mit Vermummung am Rand von Demonstrationen laufen und es den Cops einfach machen, sie im Nachgang einzusammeln. Dass Menschen bereits vermummt zu Demonstrationen an- und abreisen und sich dadurch selbst gefährden. Dass sich Menschen zwar vermummen, aber andere naheliegende Sicherheitsstandarts ignorieren, etwa ihre Handys zuhause zu lassen. Über diese Widersprüchlichkeit wollten wir reden. Das haben wir sicherlich nicht gut aufgemacht. Aber dass es diese Tendenzen gibt und sie augenscheinlich auch weiter zunehmen, ist unseres Erachtens nicht von der Hand zu weisen. Gerne hätten wir Reflexionen darüber angestoßen, ob es nicht effektivere Wege gibt, sich unkenntlich zu machen und dem Zugriff von Neonazis und Cops zu entziehen. Auch das ist uns nicht gelungen. Die bisherigen Texte zeigen, wie wichtig Debatten und Austausch darüber sind, wie man sich gegen Identifizierung und staatliche Überwachung wehren kann.

Nazis jagen ist nicht schwer?

Nicht ungesagt bleiben soll, dass ein militantes Auftreten nicht nur aus taktischen Gesichtspunkten immer wieder auf den Prüfstand gestellt gehört. Auch der patriarchale Kern bestimmter Vorstellungen von vermeintlich erfolgreicher Antifa-Arbeit muss immer Teil unserer Reflexion über antifaschistische Praxis sein. Hierzu wollen wir im Anhang auf einige Texte verweisen, die das besser auf den Punkt gebracht haben als wir es hier können. In diesem Kontext ist auch unsere Kritik an bestimmten Fantasien von Angriffen auf Neonazis mit Schusswaffen zu verstehen, der von uns als „peinlich“ bezeichnete Demo-Parolen Ausdruck verleihen. Die Kritik am Begriff „peinlich“ (Text 2) können wir nachvollziehen, insofern gemeint ist, dass er nicht weit genug geht: weil er tatsächlich nur unsere Meinung und keine politische Analyse beinhaltet. In einer späteren Version, die es nicht mehr ins Netz geschafft hat, haben wir stattdessen „nicht emanzipatorisch“ geschrieben. Es geht uns hier explizit nicht um eine „peinliche“ Außenwirkung, die wir irgendwie blöd finden, sondern um ein Problem auf linken Demos, das schwer zu leugnen ist. Verbalradikales Mackertum, soldatische Gewaltfantasien, oder auch: große Klappe, nichts dahinter. Damit meinen wir, dass das Gerede von Militanz zum Ausdruck patriarchaler Verhältnisse wird, wenn es sich nicht auf kollektive Reflexionen über ihre Angemessenheit, ihre Grenzen, einen Umgang mit ihr und ein organisiertes Verhältnis zu einem oft überlegenen Gegner stützt. Solche Debatten wurden zum Glück länger nicht mit dem Ergebnis geführt, dass das Erschießen von Menschen als linke Praxis wieder en vogue wird. Derartiges wollen wir bis zu unserer nächsten Demo auch gar nicht diskutieren. Viel lieber würden wir anregen, dass wir uns alle mal ein paar neue Sprüche überlegen und sie unter die Leute bringen – Sprüche, die Anlass und Strategie einer Demo entsprechen, die angesichts der aktuellen Lage der radikalen Linken nicht lächerlich wirken und mit Ernsthaftig
keit unsere Ziele transportieren, egal, ob das die Vermittlung von Inhalten oder Einschüchterung von Faschos sind. Diese Aufgabe sehen wir nicht nur bei den Organisator:innen einer Demo, sondern bei allen Beteiligten. 

Zum Thema Fotos/Videos auf Demos

In unserem Auswertungstext Text sprechen wir von linken Journalist:innen, mit denen wir künftig auf Demos bessere Absprachen treffen wollen. Die LIZ ist in unseren Augen keine linke Zeitung, bzw. kommt sie nicht unmittelbar aus unserer Bewegung heraus – dass Gesichter nicht verpixelt wurden ist der beste Beweis dafür und reiht sich in viele weitere ähnliche Vorkommnisse ein. Wir sehen das mehr als kritisch und sind nach der Veröffentlichung des unverpixelten Videos mit Nachdruck an die LIZ herangetreten, damit Bildmaterial gelöscht wird. Text 2 macht es sich hier wieder etwas einfach bzw. unterstellt uns vorschnell, wir würden „mit den Vertreter:innen der Presse kungeln“ – statt in Betracht zu ziehen, dass wir mit „linken Journalist:innen“ vielleicht ja auch genau das meinen, was wir bewusst benennen. Und mit diesen – aus unserer Bewegung kommenden – linken Journalist:innen finden wir es tatsächlich gut, uns abzustimmen.

Ausblick

Als antifaschistische Bewegung bemisst sich unsere Radikalität und Stärke daran, ob wir in der Lage sind, den politischen Feind zurückzudrängen und seine Handlungsfähigkeit zu beschränken, um dadurch die von ihm ausgehende Gefahr zu verringern oder gar zu beenden. Kurzum: an der Frage, ob wir Neonazis und anderen Rechten Schaden zufügen können. Dafür gibt es unterschiedliche Mittel und Wege, die sich im besten Fall gegenseitig ergänzen: militante Angriffe genauso wie politische Bildung, antifaschistische Recherche, Öffentlichkeitsarbeit, das Schreiben von Analysen, Netzwerkarbeit, sich um seine Genoss:innen zu kümmern, sich kollektiv immer wieder aufzufangen und vieles mehr. Auch Demonstrationen bleiben ein wichtiges antifaschistisches Werkzeug und unterscheiden sich dabei dahingehend, wie offensiv sie auftreten und was ihre jeweiligen Ziele sind. Wir sind für eine Debatte und Weiterentwicklung von unserem Konzept für Demonstrationen mehr als offen. Wir finden jedoch, dass wir dafür erst Stück für Stück gegenseitiges Vertrauen aufbauen, Sicherheiten (wieder-)gewinnen und Handlungsstrategien erarbeiten müssen, damit wir als Demonstration die Konsequenzen kollektiven Handelns auch kollektiv auffangen oder verhindern können. Ein ritualisiertes, performatives und ohne Einbettung in effektive Praxis vor sich hergetragenes Verhältnis zu Gewalt und Militanz ist am Ende erst recht der „Versuch, sich mit der eigenen Ohnmacht, ausgelöst durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, zu arrangieren“, den Text 2 unserer Kritik unterstellt. Die (verhaltenen) Ziele unserer Demos sind also auch ein Resultat der Reflexion des Zustandes unserer Bewegung im Sommer und Herbst 2023.

Weiterführende Texte: