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Eine Auswertung zur Demonstration „Freiheit für alle Antifaschist*innen“ am 31. Mai 2023

Das Problem heißt immer noch: Versammlungsbehörde

Am 31. Mai hat unter dem Motto „Freiheit für alle Antifaschist*innen“ eine Versammlung im Lene-Voigt-Park stattgefunden, zu der auch wir als Antifaschistische Vernetzung Leipzig mobilisiert hatten. Die Demonstration war in unseren Augen der Versuch, einen Anlaufpunkt für alle Menschen zu schaffen, die nach dem drakonischen Urteil des Oberlandesgerichts Dresden gegen die vier Antifaschist*innen ihre Wut auf die Straße tragen und Solidarität zeigen wollten. 
Als Ort für die Auftaktkundgebung wurde der Lene-Voigt-Park gewählt. Darauf blicken wir heute mit gemischten Gefühlen zurück. Auf der einen Seite fiel es der Polizei so nicht schwer, die Demonstration am Loslaufen zu hindern, da sie einige Ausgänge des Parks blockieren konnte. Andererseits hat der Park es den Einsatzkräften schwerer gemacht, den Überblick über das Geschehen zu behalten und bot Möglichkeiten für vielerlei selbstbestimmte Protestformen. 
Dass das notwendig werden könnte, war leider abzusehen. Denn schon vor Beginn der Demonstration ist deutlich geworden, dass Versammlungsbehörde und Polizei kein Interesse daran hatten, die Teilnehmenden loslaufen zu lassen. Schon im sogenannten „Kooperationsgespräch“ mit der Versammlungsbehörde wurde Druck auf die Anmeldung ausgeübt und behauptet, der Aufruf und im Besonderen die Aufforderung, Regenschirme mitzubringen, sei gewaltverherrlichend. Im Nachhinein sind wir der Auffassung, jegliche Absprachen mit der Versammlungsbehörde haben und hätten ihr Handeln und das der Polizei vor Ort nicht geändert.
Schon kurz nach Beginn der Demonstration wurde der angemeldete Weg aus dem Park durch die Polizei blockiert und der Demo-Zug auf Veranlassung der Versammlungsbehörde gestoppt. Die vermeintlichen Gründe: militantes Auftreten, verknotete Transpis, Vermummung, zu wenige Ordner*innen, zu viele Teilnehmer*innen, nur ein Megafon. Obwohl schnell weitere Ordner*innen gefunden und durch diese auf die Demonstration eingewirkt wurde, entschieden die Behörden bzw. war schon längst entschieden die Versammlung nur als stationäre Kundgebung stattfinden zu lassen. Die Organisator*innen entschieden daraufhin, die Versammlung zu beenden. Zeitgleich wurde deutlich, dass die Teilnehmenden nicht gewillt waren, einfach nach Hause zu gehen. Ein großer Teil der Demo setzte sich selbstbestimmt in die andere Richtung in Bewegung.
Rückblickend muss das Geschehen an diesem Mittwoch-Abend in einen größeren Rahmen von Versammlungs-Verboten und Repression eingeordnet werden, der sich über die ganze Woche der Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Verfahren erstreckt. Vom gewaltvollen Auftreten der Polizei und den Justizbeamten im Gericht am Mittwoch, über die Festnahme der Landtagsabgeordneten Jule Nagel während der „Tag der Jugend“Demonstration am Donnerstag, bis hin zu den unmenschlichen Bedingungen im Kessel am Samstag. Und nicht zuletzt dem Verbot aller kollektiven politischen Äußerungen zum Urteil, das als Grundlage genutzt wurde, um weitere Demonstrationen und Kundgebungen zu verbieten und kriminalisieren – und die Stadt Leipzig für mehrere Tage in einen polizeilichen Ausnahmezustand zu versetzen.
Im Nachgang zeigt sich hier eine neue Strategie der Behörden zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Anhand fadenscheiniger Begründungen in den Pressemitteilungen der Polizei wurden Anlässe konstruiert, um das eigene repressive Vorgehen zu rechtfertigen. Insbesondere das Einhegen von Demos aufgrund einer unerwartet hohen Teilnehmendenzahl ist bezeichnend und sollte in der Szene Diskussionen anregen. Dass der Staat auf dieses Argument zurückgreift, ist schon aus demokratischer Perspektive höchst zweifelhaft. Aus linksradikaler Perspektive gilt erst recht: Nicht der Staat entscheidet, wie und mit wie vielen wir demonstrieren. Wenn die Behörden aus Angst vor unkontrollierbaren Situationen das Durchführen von Demos unmöglich machen wollen, sollten wir ihnen in Zukunft einen Schritt voraus sein. Leider konnten aus unserer Erfahrung am Mittwoch nicht schnell und breitenwirksam genug Schlüsse für Samstag gezogen werden  – als die Polizei die Demo am Alexis-Schuhmann-Platz wieder mit genau derselben Strategie und Begründung nicht loslaufen ließ. Wenn das, was am 31.05.2023 und an den darauffolgenden Tagen passiert ist, die Zukunft der Versammlungsfreiheit in Leipzig sein soll, dann steht die Frage im Raum, ob es perspektivisch überhaupt noch sinnvoll ist, Demonstrationen anzumelden.
Während des Versammlunsgeschehens am Mittwoch waren unzählige Kamerateams und Reporter*innen verschiedenster Medien vor Ort. Warum eigentlich, fragen wir uns, wenn doch am Ende des Tages lediglich die Pressemitteilungen der Polizei abgeschrieben werden und die massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch Stadt und Einsatzkräfte nicht thematisiert wird?
Dennoch blicken wir auch positiv zurück. Angesichts der autoritären Linie der Behörden ist es stark, dass die Demonstration losgelaufen ist. Die im Anschluss an die Versammlung entstandene Dynamik hat sehr deutlich gemacht: Wenn ihr uns nicht laufen lasst, dann nehmen wir uns trotzdem die Straße, immer wieder. Antifaschismus bleibt notwendig und lässt sich nicht verbieten!
Den Menschen, die im Nachgang des Versammlungsgeschehens Repression erfahren haben, gilt unsere Solidarität. Wir rufen alle Betroffenen dazu auf, sich bei der Roten Hilfe zu melden. 
Fotos: „Dani Luiz“: https://www.flickr.com/photos/194044063@N06/albums/72177720308750417