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Let’s be serious

Eine Antwort auf die Kritiken am Auswertungstext zur Zschocher-Demo der AVL

Im Nachgang der “A Monday Without You”-Demonstration Ende Juli in Zschocher veröffentlichten wir einen kurzen Auswertungstext. Auf knack.news erschienen in der Folge zwei Antworttexte mit Kritik an unserer Auswertung: “Einige Gedanken zu der Demo in Zschocher am 31.07 und deren Auswertung” (https://knack.news/6654; folgend als „Text 1“ bezeichnet) und “Are you serious? Antwort auf die Auswertung zur Demo in Zschocher am 31.07” (https://knack.news/6661; folgend bezeichnet als „Text 2“).

Einige Anmerkungen vorweg

Unser Auswertungstext war keine Analyse und diesen Begriff haben wir auch nie verwendet – es ging eher um das Sammeln von Eindrücken und Perspektiven. Das vermeintliche Durchsetzen einer persönlichen Meinung „unter dem Titel Analyse“ (Text 2) war nie unser Ziel – eine Fokussierung auf diesen Begriff hätte Text 2 nicht nötig gehabt. Uns ist aber klar, dass wir unsere Gedanken rund um die Aspekte von Auftreten, Außenwirkung und Black Block nicht gut vermittelt bzw. nicht ausreichend formuliert haben, worum es uns ging. Ja, sicherlich war auch manches davon vorgeschoben, verklausuliert und halbgar. Dass wir dafür kritisiert werden, ist verständlich
Als Antifaschistische Vernetzung bestehen wir aus Einzelpersonen, Zusammenhängen und Gruppen und kommen teils aus unterschiedlichen Strömungen. Kurz, wir haben intern unterschiedliche Positionen und lernen, damit nach außen zu treten. Außerdem zu berücksichtigen ist, dass wir als öffentlich agierende Gruppe mit einem Namen für unsere Inhalte stehen; wir sind uns sicher, dass nicht nur unsere Genoss:innen, sondern leider auch die Repressionsbehörden unsere Worte gerne auf die Goldwaage legen. Letzteres macht es unmöglich, die eigenen Beweggründe und Konzepte in Gänze zu kommunizieren. Das alles führt mitunter zu Schwierigkeiten bei der gemeinsamen Textarbeit. Auf die Schnelle eine Auswertung veröffentlichen zu wollen, war überambitioniert und ging auf Kosten von inhaltlicher Klarheit und Auseinandersetzung.
Wir schreiben Texte, auch die kritisierte Auswertung, um unsere internen Debatten möglichst transparent zu machen und Diskussionen anzuregen. Das ist uns sogesehen gelungen, auch wenn wir mit unserem kritisierten Text selber nicht zufrieden sind. Weil wir uns insgesamt mehr produktiven Austausch und Debatten innerhalb der Szene wünschen, freuen wir uns über die Reaktionen auf unseren Auswertungstext und möchten auf einige der aufgebrachten Punkte genauer eingehen.

Die Debatte zur Zschocher-Demo

Die beiden Antworttexte konzentrieren sich in ihrer Kritik auf unser Bedauern im Auswertungstext, die Teilnehmenden der Zschocher-Demo seien unserem Vorschlag aus dem Aufruf zur Demo, auf ein Auftreten als Schwarzer Block zu verzichten, nicht gefolgt. Warum unsere Kritik in der Auswertung nicht gelungen war, erklären wir weiter unten. Für unsere ursprüngliche Formulierung im Aufruftext, das Auftreten im Schwarzen Block sei je nach Ziel einer Demo „nicht immer sinnvoll“, gab es drei Gründe.
Erstens: Im Kontakt mit Menschen aus Zschocher wurde an uns herangetragen, dass diese sich keine klassische Black Block-Demo wünschen. Das mag zum einen aus einer Einschätzung ihrerseits resultieren, dass eine bunte Demo mehr Anklang im Viertel finden könnte. Zum anderen war der Wunsch wahrnehmbar, sich selber mitsamt Freund:innen und Bekannten in die Demo einreihen zu können ohne Angst vor Bedrohungsszenarien haben zu müssen, die ein Auftreten als Schwarzer Block zur Folge haben oder wenigstens plausibler wirken lassen könnte. Um unserem Namen und damit unserem Anspruch an Vernetzung nach Zschocher gerecht zu werden, haben wir dies berücksichtigt. Das heißt nicht, dass wir das Konzept des Schwarzen Blocks ablehnen und, wie in beiden Kritiktexten heraufbeschworen, auf dem Altar der Anschlussfähigkeit ans Bürgertum oder gar der „Biedrigkeit und Ordnungsliebe“ opfern wollen. 
Das bringt uns zum zweiten Punkt: Wir halten es in Anbetracht des aktuellen Kräfteverhältnisses in dieser Stadt in den meisten Fällen nicht für sinnvoll, aus einer angemeldeten, von Polizei begleiteten und dutzendfach abgefilmten Versammlung heraus militant zu agieren – ausgenommen natürlich Szenarien, in denen praktischer Selbstschutz notwendig wird. Unsere Demo sollte dem Zweck dienen, faschistische Strukturen und Akteure im Viertel sichtbar zu machen, die Nachbar:innenschaft über sie aufzuklären und darüber hinaus in die Szene hinein Informationen zu vermitteln. Was außerhalb unserer Demo mit diesen Infos passiert, wollen wir allen selbst überlassen. Und ja, wir wollen den Faschist:innen auch Angst machen und ein reales Bedrohungszenario kreieren. Dafür kann das Aufsuchen ihrer Rückzugsräume und Offenlegen ihrer Strukturen im Rahmen einer Demonstration aber nur der erste Schritt sein. Wir wünschen uns einen Austausch und ein Bewusstsein für unterschiedliche Aktionsformen und Schritte antifaschistischer Arbeit – so wollen wir unseren Hinweis im Aufruf verstanden wissen, ein Schwarzer Block sei nicht immer sinnvoll. Militanteres Auftreten und Agieren auf einer Demo wäre sicherlich eine Variation, die kontextabhängig effektiv und zielführend ist. Wir sind aber für unsere Demo zu einem anderen Schluss gelangt. 
Denn, drittens: Unser erstes öffentliches Auftreten war die Demo am Tag der Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Verfahren, die sich bekanntermaßen als Schwarzer Block aus etwa 800 Menschen formiert hat und von der Polizei mit Repression überzogen wurde – der Ausgang dürfte ebenfalls bekannt sein. Wir mussten davon ausgehen, dass die Behörden dementsprechend hellhörig reagieren, wenn die AVL zu einer Demo aufruft, um Rechte „aus der Deckung zu holen“. Ebenso konnte davon ausgegangen werden, dass unsere Demo entsprechende Erwartungen bei Teilnehmenden weckt. Weil unsere Demo anders konzipiert war, haben wir es als unsere Verantwortung gesehen, im Vorfeld einen Hinweis zu geben, dass Struktur und Orga unserer Demo für bestimmte Formen antifaschistischen Agierens nicht ausgelegt sein wird – um Dynamiken zu vermeiden, die wir nicht kollektiv hätten tragen können und daraus resultierende Repression abzuwenden. Es geht also um eine aus unserer Sicht realistische Einschätzung der Situation, in der man als Gruppe handelt und einen Anlass für Handeln bereitstellt. Dieser Punkt ist uns wichtig, wenn wir davon sprechen, dass wir Vertrauen wiederherstellen wollen. 
Dass wir diese Überlegungen auf einen Vorbehalt gegenüber einem bestimmten Dresscode und pauschale Infragestellung von (Voll-)Vermummung verkürzt haben, war ein Fehler. Wir können diesbezüglich den Argumenten, die in den Kritiken an unserem Auswertungstext hervorgebracht wurden, weitestgehend zustimmen. Wir wollen mit unserem Text niemanden auffordern, sich nicht unkenntlich zu machen. Wir teilen die Ansicht voll und ganz, dass es dafür diverse gute Gründe gibt. Auch wenn wir kritische Gedanken zu bestimmten Beobachtungen teilen, die wir auf Demos machen, geht es uns ausdrücklich nicht darum, Menschen vorzuschreiben, was sie (auf von uns organisierten Demonstrationen) zu tragen oder zu rufen haben. Diesen Punkt haben wir nicht klar genug formuliert und auch die Kritik an der von uns gewählten Formulierung nehmen wir ernst und werden diese weiter diskutieren. 

Verhalten auf Demos: Wer hat Angst vorm Schwarzen Block?

Wir glauben aber auch, dass eine Demo nicht pauschal sicherer wird, bzw. wir besser auf Angriffe durch Neonazis reagieren können, weil wir schwarze Kleidung tragen und abschreckende Parolen rufen. Wir finden es deutlich wichtiger, dass es einerseits eine gute Vorbereitung für solche Fälle gibt, also Absprachen zwischen ersten Reihen, Ordner:innen und Lauti getroffen wurden und wir es schaffen, strukturell mehr Wissen und Skills zu sammeln, wie wir uns kollektiv verteidigen können. Ganz praktisch wollen wir uns andererseits für mehr Eigeninitiative bei Bezugsgruppen aussprechen; ob mit Seitentranspis für Sichtschutz und Regenschirmen oder stärkeren Schildern für das Abwehren von Wurfgegenständen. Darüber hinaus gibt es auch gute Konzepte für kollektives Bewegen auf Demonstrationen, die es weiter zu verbreiten gilt. Allgemein wünschen wir uns eine kollektive und reflexiv-kritische Aneignung der Taktik Black Block, die sich seiner Historie bewusst ist und eine Anwendung immer auf Sinn und Unsinn im konkreten Kontext überprüft. 

Stattdessen machen wir immer wieder die Beobachtung, dass eine bestimmte Schablone vom Schwarzen Block zum individuellen Demo-Outfit geworden ist. Dass sich Menschen zwar schwarz kleiden und vermummen, aber gleichzeitig leicht identifizierbare Kleidungsstücke, auffällig platzierte Buttons, sichtbare Piercings, etc. tragen. Dass Handschuhe getragen werden, ohne dass der Rest der Kleidung zur Aktionsbereitschaft passt, die dadurch (nicht zuletzt den Cops) vermittelt wird. Dass Handschuhe sogar genutzt werden, um während eines Redebeitrags das Mikro zu halten und somit sämtliches DNA-Material der Vorredner:innen mitnehmen. Dass Menschen mit Vermummung am Rand von Demonstrationen laufen und es den Cops einfach machen, sie im Nachgang einzusammeln. Dass Menschen bereits vermummt zu Demonstrationen an- und abreisen und sich dadurch selbst gefährden. Dass sich Menschen zwar vermummen, aber andere naheliegende Sicherheitsstandarts ignorieren, etwa ihre Handys zuhause zu lassen. Über diese Widersprüchlichkeit wollten wir reden. Das haben wir sicherlich nicht gut aufgemacht. Aber dass es diese Tendenzen gibt und sie augenscheinlich auch weiter zunehmen, ist unseres Erachtens nicht von der Hand zu weisen. Gerne hätten wir Reflexionen darüber angestoßen, ob es nicht effektivere Wege gibt, sich unkenntlich zu machen und dem Zugriff von Neonazis und Cops zu entziehen. Auch das ist uns nicht gelungen. Die bisherigen Texte zeigen, wie wichtig Debatten und Austausch darüber sind, wie man sich gegen Identifizierung und staatliche Überwachung wehren kann.

Nazis jagen ist nicht schwer?

Nicht ungesagt bleiben soll, dass ein militantes Auftreten nicht nur aus taktischen Gesichtspunkten immer wieder auf den Prüfstand gestellt gehört. Auch der patriarchale Kern bestimmter Vorstellungen von vermeintlich erfolgreicher Antifa-Arbeit muss immer Teil unserer Reflexion über antifaschistische Praxis sein. Hierzu wollen wir im Anhang auf einige Texte verweisen, die das besser auf den Punkt gebracht haben als wir es hier können. In diesem Kontext ist auch unsere Kritik an bestimmten Fantasien von Angriffen auf Neonazis mit Schusswaffen zu verstehen, der von uns als „peinlich“ bezeichnete Demo-Parolen Ausdruck verleihen. Die Kritik am Begriff „peinlich“ (Text 2) können wir nachvollziehen, insofern gemeint ist, dass er nicht weit genug geht: weil er tatsächlich nur unsere Meinung und keine politische Analyse beinhaltet. In einer späteren Version, die es nicht mehr ins Netz geschafft hat, haben wir stattdessen „nicht emanzipatorisch“ geschrieben. Es geht uns hier explizit nicht um eine „peinliche“ Außenwirkung, die wir irgendwie blöd finden, sondern um ein Problem auf linken Demos, das schwer zu leugnen ist. Verbalradikales Mackertum, soldatische Gewaltfantasien, oder auch: große Klappe, nichts dahinter. Damit meinen wir, dass das Gerede von Militanz zum Ausdruck patriarchaler Verhältnisse wird, wenn es sich nicht auf kollektive Reflexionen über ihre Angemessenheit, ihre Grenzen, einen Umgang mit ihr und ein organisiertes Verhältnis zu einem oft überlegenen Gegner stützt. Solche Debatten wurden zum Glück länger nicht mit dem Ergebnis geführt, dass das Erschießen von Menschen als linke Praxis wieder en vogue wird. Derartiges wollen wir bis zu unserer nächsten Demo auch gar nicht diskutieren. Viel lieber würden wir anregen, dass wir uns alle mal ein paar neue Sprüche überlegen und sie unter die Leute bringen – Sprüche, die Anlass und Strategie einer Demo entsprechen, die angesichts der aktuellen Lage der radikalen Linken nicht lächerlich wirken und mit Ernsthaftig
keit unsere Ziele transportieren, egal, ob das die Vermittlung von Inhalten oder Einschüchterung von Faschos sind. Diese Aufgabe sehen wir nicht nur bei den Organisator:innen einer Demo, sondern bei allen Beteiligten. 

Zum Thema Fotos/Videos auf Demos

In unserem Auswertungstext Text sprechen wir von linken Journalist:innen, mit denen wir künftig auf Demos bessere Absprachen treffen wollen. Die LIZ ist in unseren Augen keine linke Zeitung, bzw. kommt sie nicht unmittelbar aus unserer Bewegung heraus – dass Gesichter nicht verpixelt wurden ist der beste Beweis dafür und reiht sich in viele weitere ähnliche Vorkommnisse ein. Wir sehen das mehr als kritisch und sind nach der Veröffentlichung des unverpixelten Videos mit Nachdruck an die LIZ herangetreten, damit Bildmaterial gelöscht wird. Text 2 macht es sich hier wieder etwas einfach bzw. unterstellt uns vorschnell, wir würden „mit den Vertreter:innen der Presse kungeln“ – statt in Betracht zu ziehen, dass wir mit „linken Journalist:innen“ vielleicht ja auch genau das meinen, was wir bewusst benennen. Und mit diesen – aus unserer Bewegung kommenden – linken Journalist:innen finden wir es tatsächlich gut, uns abzustimmen.

Ausblick

Als antifaschistische Bewegung bemisst sich unsere Radikalität und Stärke daran, ob wir in der Lage sind, den politischen Feind zurückzudrängen und seine Handlungsfähigkeit zu beschränken, um dadurch die von ihm ausgehende Gefahr zu verringern oder gar zu beenden. Kurzum: an der Frage, ob wir Neonazis und anderen Rechten Schaden zufügen können. Dafür gibt es unterschiedliche Mittel und Wege, die sich im besten Fall gegenseitig ergänzen: militante Angriffe genauso wie politische Bildung, antifaschistische Recherche, Öffentlichkeitsarbeit, das Schreiben von Analysen, Netzwerkarbeit, sich um seine Genoss:innen zu kümmern, sich kollektiv immer wieder aufzufangen und vieles mehr. Auch Demonstrationen bleiben ein wichtiges antifaschistisches Werkzeug und unterscheiden sich dabei dahingehend, wie offensiv sie auftreten und was ihre jeweiligen Ziele sind. Wir sind für eine Debatte und Weiterentwicklung von unserem Konzept für Demonstrationen mehr als offen. Wir finden jedoch, dass wir dafür erst Stück für Stück gegenseitiges Vertrauen aufbauen, Sicherheiten (wieder-)gewinnen und Handlungsstrategien erarbeiten müssen, damit wir als Demonstration die Konsequenzen kollektiven Handelns auch kollektiv auffangen oder verhindern können. Ein ritualisiertes, performatives und ohne Einbettung in effektive Praxis vor sich hergetragenes Verhältnis zu Gewalt und Militanz ist am Ende erst recht der „Versuch, sich mit der eigenen Ohnmacht, ausgelöst durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, zu arrangieren“, den Text 2 unserer Kritik unterstellt. Die (verhaltenen) Ziele unserer Demos sind also auch ein Resultat der Reflexion des Zustandes unserer Bewegung im Sommer und Herbst 2023.

Weiterführende Texte: